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Drei Schwestern

Jeden Wintermorgen kam die Eiskönigin aus ihrem gefrorenen See, erstieg einen der sieben Seeberge und schaute sich auf dem Seeeis an wie in einem Spiegel. Wenn die Eiskönigin morgens auf einem der sieben Seeberge saß und sich auf dem spiegelglatten Seeeis anschaute, schauderten die Menschen in den nahe liegenden Seedörfern, weil immer der gleiche eisige Morgenwind von der Seekönigin ins Land ging. Eines jeden Morgens erkrankte eines der Kinder an dem eisigen Wind der Eiskönigin und starb ohne Ausnahme binnen weniger Tage. Die Mütter und Großmütter saßen bei dem sterbenden Kind und tupften ihm die schweißnasse Stirn. Sie weinten und trauerten, aber tun konnten sie nichts. So war es den Menschen an die sieben Seebergen schon seit Jahrhunderten ergangen. Nur in der eisfreien Zeit kamen sie zur Ruhe, aber der Winterfluch lag immer über ihnen.

Bei Wintereinbruch fuhren die Männer und älteren Jungen mit ihren wuchtigen Eichenkähnen ganze Tage und Nächte über den See und stachen mit den Rudern in das gefrierende Wasser, damit der Eissee nicht wieder zufröre, die böse Eiskönigin nicht wieder hinaufstiege, nicht wieder auf einem der sieben Seeberge säße, sich nicht wieder im gefrorenen See wie in einem Spiegel anschaute und nicht mit ihrem eisigen Wind jeden Tag aufs Neue eines der Kinder krank machen würde. Aber dann wurde die Eiskönigin nur noch eisiger vor Wut, und in nur einer Nacht fror der See mit einer dicken Eisschicht zu, in der die Eichenkähne zerbarsten und am nächsten Morgen nicht mehr zu sehen waren. Die Männer und Jungen flüchteten über den augenblicklich zugefrorenen See in die Hütten der Dörfer. Dann legten sich die Erwachsenen, Eltern und Großeltern, die größeren Geschwister, und mit ihnen die Hunde und Katzen, die Kälbchen und Fohlen, um die kleinen Kinder herum, damit der Eiswind am Morgen nicht hindurch käme. Aber der eisige Wind der Eiskönigin drang immer zu einem der Kinder durch. Wenn aus einer Hütte im eisigen Morgengrauen dann das erste Schluchzen, Ächzen und Weinen kam, dann weinten und trauerten alle an den sieben Seebergen. Die Tränen gefroren Ihnen in den Gesichtern zu Diamanten. So ging es jeden Wintertag. Und die Menschen hassten die Diamanten, denn die Böden an den sieben Seebergen waren mit den Tränendiamanten übersät.

In einem der Dörfer gab es drei ältere Schwestern, die vor Zeiten von ihren Eltern verlassen worden waren, weil diese in den Eiswintern von Siebenseebergen verrückt geworden waren und in ihrem Wahn ihre drei Töchter nicht mehr erkannten und einfach zurück gelassen hatten. Die drei Schwestern hatten aber in all den Jahren zusammengehalten, in den Sommern auf den Feldern gearbeitet und sich über die unzähligen eisigen Wintertage und Winternächte gebracht. Dabei waren die Schwestern hart geworden, und sie weinten nicht mehr, und ihnen gefroren keine Tränen mehr zu Diamanten. Und je härter die drei Schwestern wurden, umso eisiger wurden ihnen selbst ums Herz. Da sagte die Älteste, wenn wir noch länger so weiter leben und immer härter werden und es uns immer eisiger ums Herz wird, dann werden wir selber zu Eisköniginnen. Da bekamen die Schwestern Angst. Und da sie sich nicht mehr zu helfen wussten, gingen sie eines Sommermorgens alle drei in den See und tauchten hinab. Als ihnen die Luft schon ausging und sie auf den Seegrund stießen, erwachte die schlafende Eiskönigin. Sie bekam Mitleid mit den drei Schwestern und blies ihnen Luft in die Münder. Und in den Luftblasen erblickte sich die aus dem Sommerschlaf erwachte Eiskönigin und fand sich zum ersten Mal schön. Und ihr ward warm ums Herz. Und immer weiter blies sie die Luftblasen und erschaute sich ihn ihnen wie in tausend Spiegeln. Und je mehr sie blies, umso kleiner wurde die Eiskönigin - bis sie sich ganz in Luftblasen auflöste und in der letzen sich zum letzen Mal erblickte.

Die drei Schwestern tauchten aber auf aus dem See und gingen durch alle Dörfer. Erst wollten es die Menschen nicht glauben, dann aber wuchs die Hoffnung. Und als der Winter kam, fror der See nicht zu, keine Eiskönigin stieg aus ihm hervor und kein eisiger Wind kam im Morgengrauen an die Betten der Kinder. Jetzt wurde den Menschen froh ums Herz. Sie feierten die drei Schwestern und machten sie zu den drei Königinnen von Siebenseebergen. Die Schwestern wurden weise Königinnen. Die Diamanten wurden zusammengekehrt und in Erdlöchern und Höhlen vergraben, damit die alte Trauer ein Ende haben sollte.


www.uri-text.de | Oldenburg (Oldb) | 2007-11-18