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Zum modernen Umgang mit der Arbeitslosigkeit: Sonderprogramme und "Beschäftigungsinitiativen"

OECD ILE-Aktionsprogramm für lokale Beschäftigungsinitiativen (ILE=Initiatives Locales d`Emploi) von 1982

Ulf Riebau

Arbeitslosigkeit macht den Kapitalismus verdächtig. Aktuell verläuft die Auseinandersetzung um Arbeitslosigkeit jedoch zugunsten des Kapitals. Nicht vom allgemeinen Recht auf sinnvolle Arbeit und anständiges Einkommen ist die Rede, sondern von der Flexibilisierung der Arbeit. Die Arbeitslosenstatistik wird verfälscht, die Verfügbarkeit der Arbeitslosen angezweifelt, die Qualifikationsanforderungen hochgeschraubt und die Zumutbarkeitsgrenze für die Arbeitsaufnahme gesenkt. "Kurzzeit"-Arbeitslosigkeit gilt als Begleitumstand normaler Fluktuation. Rotationsarbeitslosigkeit, Gelegenheitsarbeit und notgedrungene Teilzeitarbeit ohne Lohnausgleich werden als zeitgemäß flexible Arbeit verkauft.

Als Langzeitarbeitslosigkeit wird heute wieder, nachdem von Jugendarbeitslosigkeit niemand mehr spricht, ein gesamtgesellschaftliches Problem gesondert betrachtet. Die öffentlichkeitswirksame Aufbereitung des Problems der Langzeitarbeitslosigkeit und die allgemein zur Schau getragene Sorge um die Langzeitarbeitslosen und ihre Familien verdeckt die reale Existenz der Massenarbeitslosigkeit. Die Ursachen der Langzeitarbeitslosigkeit werden bei den Betroffenen ausgemacht: ungenügende Bildung, geringe Qualifikation, Alter, Krankheit, Demotivation usw. Die individuellen und familiären Folgen werden erforscht, die gesamtfiskalischen Belastungen errechnet, die Vergeudung brachliegender Arbeitskraft bedauert und Sonderprogramme und Sondermaßnahmen geschaffen.

Der planwirtschaftliche Umgang mit Arbeitslosen insgesamt firmiert unter dem Begriff der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Im August 1989 stellte das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftforschung (RWI) eine Untersuchung zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vor. Danach ist die Zahl der Personen, die unter dem Einfluß der erfaßten Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr als arbeitslos registriert wurden, von 1983 bis 1988 von schätzungsweie 180.000 auf knapp 500.000 angestiegen. Mit dem Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen würden kaum zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, sondern in erster Linie die Zahl der registrierten Arbeitslosen gesenkt. Dies sei aber hinzunehmen, so das Fazit der RWI-Studie, da die Maßnahmen auch sozialpolitische Aufgaben erfüllten. Auf die wichtige ökonomische Funktion von aktiver Arbeitsmarktpolitik kommen die Essener Wirtschaftforscher, wie auch andere, ungern zu sprechen: Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen halten Arbeitslose wie Beschäftigte in Bewegung. Ständig findet eine partielle Umverteilung der akuten Betroffenheit von Arbeitslosigkeit statt. Bei steigenden Leistungsanforderungen wird bei arbeitslosen wie beschäftigten Arbeitskräften härter gesiebt und ausgelesen. Lohnsubventionen und die in Maßnahmen neu erworbenen Qualifikationen werden den Unternehmen als Beigabe geboten.

Bislang neuestes Angebot der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist das 1,5 Mrd.DM-Programm der Bundesregierung "Aktion Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose (BHI)", das für 60 bis 70.000 "Förderungsfälle" von Mitte 1989 bis Ende 1991 ausgelegt ist. Die BHI sind Lohnkostenzuschüsse, die für ein Jahr an Unternehmen gezahlt werden, die ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit einem Langzeitarbeitslosen abschließen, und betragen je nach Dauer der Arbeitslosigkeit und Beschäftigung bis zu 80%. Ende Oktober 1989 waren 11.300 davon beantragt und 9500 bewilligt worden. Die Bundesanstalt für Arbeit nennt einige Gründe für die recht schwache Inanspruchnahme der BHI-Lohnkostenzuschüsse durch die Unternehmen. Es fehle die Bereitschaft der Unternehmen, "von den zum Teil recht hohen Anforderungen Abstriche zu machen". Es bestehe kaum Interesse, über die Mittel aus dem Sonderprogramm Langzeitarbeitslosen die benötigten Qualifikationen zu vermitteln. Nicht Großunternehmen, die über ein organisiertes Aus- und Fortbildungssystem verfügten, sondern kleine und mittlere Betriebe mit Schwerpunkt im gewerblich-technischen Bereich hätten die Gelder in Anspruch genommen. Die Abneigung der Unternehmen mit den Langzeitarbeitslosen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis abzumachen, wird amtlicherseits mit dem Hinweis zu entkräften versucht, daß bei Kündigung innerhalb der Probezeit keine Rückerstattung der BHI-Lohnkostenzuschüsse zu leisten wäre. Es bleibt fraglich, ob über BHI-Lohnkostenzuschüsse bis Ende 1991 tatsächlich 70.000 Langzeitarbeitslose unbefristet Arbeit bekommen; ohnehin wären damit nur 10% der gegenwärtig registrierten Langzeitarbeitslosen einbezogen. Im Vordergrund steht für die Regierung die propagandistische Wirkung der Aktion Beschäftigungshilfen auf Arbeitslose und Öffentlichkeit.

Das 1,5 Mrd.-BHI-Sonderprogramm wird ergänzt durch das 250 Mio.-Sonderprogramm "Maßnahmen für besonders beeinträchtigte Langzeitarbeitslose und weitere schwerstvermittelbare Arbeitslose". Dieses Programm geht über das Bundesprogramm "Neue Wege der Arbeitsmarktpolitik" hinaus und bedeutet eine erhebliche Ausweitung des Konzepts der "experimentellen Arbeitsmarktpolitik". Beschäftigungsinitiativen vor Ort sollen besonders gefördert werden. Eine wesentliche Funktion vieler örtlicher Beschäftigungsinitiativen wird in der "sozialen Betreuung" von Langzeitarbeitslosen gesehen. Zielgruppe dafür sind insbesondere die angeblich "sozialbehinderten Arbeitssuchenden", deren Arbeitskraft für null und nichtig erklärt wird, und denen die Fähigkeit abgesprochen wird, Qualifikationen unmittelbar erwerben zu können. Trotzdem sollen die "Abgeschriebenen" arbeiten: Arbeit als bloßes Mittel der Sozialarbeit; Arbeit für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Arbeitsmoral; soziale Kontrolle durch die Arbeit.

Bis September 1989 lagen, so die erste Zwischenbilanz der Bundesanstalt für Arbeit, 267 Maßnahmeanträge im Rahmen des 250 Mio.-Programms für 5.500 Teilnehmer mit einem Fördervolumen von 126,5 Mio. DM vor. Insbesondere gemeinnützige Träger planten in den Bereichen soziale Dienste, Landschafts- und Gartenbau, Umweltschutz und Recycling Beschäftigungsmaßnahmen, kombiniert mit sozialer Betreuung und z.T. auch Qualifizierung. Drei Großbetriebe aus NRW (z.B Thyssen in Dortmund für etwa 50 Teilnehmer) hätten im Rahmen des Programms Beschäftigungsmaßnahmen angemeldet für gewerbliche Tätigkeiten in der Metall- und chemischen Industrie sowie im Baugewerbe. Die angehenden Maßnahmeträger können im Rahmen der Projektförderung als Anteilsfinanzierung Zuschüsse für Investitionen, laufende Betriebsmittel und Kosten für Anleitungs- und Betreuungspersonal bekommen. Die Maßnahme-Teilnehmer selbst werden aus diesem Programmtopf keine Zahlungen erhalten. Die Maßnahmeträger sind über das Programm nicht einmal verpflichtet, die Teilnehmer tariflich bzw. beruflich-ortsüblich zu entlohnen. Für die genannten Großbetriebe ein willkommenes Experimentierfeld für die Einführung von "Einstiegstarifen" für Langzeitarbeitslose.

Wichtiger bei der Ausweitung der "experimentellen Arbeitsmarktpolitik" ist aber das verstärkte Ineinandergreifen von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das gesellschaftliche Problem der Massenarbeitslosigkeit wird so öffentlichkeitswirksam dargestellt als individuelles Problem der "sozialbehinderten" Langzeitarbeitslosen, für die Beschäftigungs-Sondermaßnahmen erforderlich und gerechtfertigt sind.

Ergänzend zu den neuen Regierungsprogrammen will die Bundesanstalt für Arbeit in acht Modellarbeitsämtern "neue Wege zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit erproben". Aus dem 1,5 Mrd.-Programm stehen 50 Mio. DM für Lohnkostenzuschüsse für "Modellvorhaben" zur Verfügung, für die die einschränkenden Regelungen (zeitliche Begrenzung, unbefristetes Arbeitsverhältnis u.a.) nicht gelten. In der Zwischenbilanz der Bundesanstalt für Arbeit vom 22.9.1989 heißt es dazu: "Wesentliches Element solcher Modellmaßnahmen sollte es sein, 'Neues' auszuprobieren, d.h. in der inhaltlichen Verknüpfung und Aufeinanderfolge von Maßnahmen 'Förderpläne' für Langzeitarbeitslose entstehen zu lassen". Aus den beteiligten Modellarbeitsämtern heraus wurde bereits für den Informationsaustausch eine "Projektgruppe Langzeitarbeitslosigkeit" gebildet.

Den laufenden Regierungsprogrammen und amtlichen Geschäftigkeiten wollte die SPD nicht tatenlos zusehen. Ein eigener Entwurf für ein Sonderprogramm "Eingliederung Langzeitarbeitsloser unterstützen: Programm des Bundes, der Länder und Gemeinden insbesondere für Regionen mit besonderen Beschäftigungsproblemen" wurde vorgelegt. Gemeinsamkeiten sind offensichtlich. Doch plant die SPD ein größeres Programmvolumen (3,7 Mrd. DM), will das bekannte arbeitsmarktpolitische Instrumentarium (besonders Fortbildung und Umschulung sowie ABM) wieder ausbauen, plant ein Recht auf Qualifizierung oder befristete Beschäftigung für besonders langfristig Arbeitslose und verspricht eine erweiterte finanzielle Unterstützung für örtliche Beschäftigungsinitiativen.

Das Konzept der örtlichen Beschäftigungsinitiative ist ein Eckpfeiler der "experimentellen Arbeitsmarktpolitik". Als modellhaft verstandene Beschäftigungs-Sondermaßnahmen sind sie symptomatisch für den ins Auge gefaßten "modernen" Umgang mit Arbeitslosen.

Die "Zielgruppe" scheint beliebig ausdehnbar. Anläßlich einer öffentlichen Anhörung des Bundestagssozialausschusses zu Langzeitarbeitslosigkeit im Oktober 1989 gab das "Kommissariat der deutschen Bischöfe" in seiner Stellungnahme besonders offenherzig Einblicke in mögliche Erweiterungen. Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit sei nach den verschiedenen Problemgruppen differenziert zu betrachten: "Ungelernte, Nichtqualifizierbare, kaum oder wenig Qualifizierbare, Jugendliche ohne Schulabschluß, noch nicht berufsreife Jugendliche, Behinderte, gesundheitlich Beeinträchtigte, ältere Arbeitslose, Akademiker, Frauen, Aussiedler, Flüchtlinge oder Arbeitslose, die wegen sozialer oder persönlicher Probleme langfristig auf die Arbeitslosigkeit sich eingestellt haben oder Arbeitslose, die eine nahtlose Arbeitsaufnahme wegen Immobilität oder Drogen- oder Eheprobleme ablehnen."

Insgesamt wird "Beschäftigung" für Arbeitslose, also Qualifikation, Arbeitsbeschaffung und Betreuung, dezentralisiert durchgeführt. Als Träger treten kirchliche Einrichtungen, Wohlfahrtsverbände, öffentliche Verwaltungen, Bildungseinrichtungen, gewerkschaftliche Einrichtungen, private Unternehmen , kommunale Beschäftigungsgesellschaften sowie eine Vielzahl unterschiedlicher kleiner freier Träger in Erscheinung. Das Prinzip der Dezentralisierung und die Bandbreite der förderungsfähigen Maßnahmen hat das Entstehen örtlicher Beschäftigungsinitiativen begünstigt. Kirchengemeindemitglieder, Mitarbeiter von Wohlfahrtsverbänden und kirchlichen Einrichtungen, kommunale Sozialpolitiker, Kommunalbeamte, Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung, Gewerkschaftsfunktionäre, aber auch Mitarbeiter von Arbeitslosenzentren und Arbeitslose können als engagierte Einzelpersonen in Kooperation vor Ort "Projekte" zustande bringen. Die Entstehung dieser "local initiatives" bei Konzeption und Durchführung von örtlichen Beschäftigungsinitiativen geht einher mit der Mobilisierung von "ehrenamtlichem" Engagement. Spezielle Einrichtungen zur Beratung örtlicher Beschäftigungsinitiativen (z.B. die GIB in Bottrop oder die BBJ Consult in Berlin) sollen eventuell durch Dezentralität und mangelnde Professionalität hervorgerufene Informations- und Managementdefizite in der Konzeptions- und Gründungsphase ausgleichen. Im Rahmen der experimentellen Arbeitsmarktpolitik können auch Projekte der sozialen Selbsthilfe und der alternativen Ökonomie zu Trägern von Maßnahmen für Arbeitslose avancieren.

Das Konzept örtliche Beschäftigungsinitiativen wird in der Bundesrepublik systematisch analysiert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit. Eine Zusammenfassung findet sich in dem Bericht "Qualifizierungs- und Beschäftigungsinitiativen in der BRD. Herausforderungen an eine lokale Beschäftigungspolitik", der in den Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der BA (ibv) vom 13.1.88 veröffentlicht wurde. Leicht gekürzt ist dieser Bericht auch in einer Literaturdokumentation des IAB zu Schattenwirtschaft und Alternativökonomie (LitDokAB S 15 1989) enthalten. Die Dokumentation, Typologisierung, und Ausweitung der bestehenden örtlichen Beschäftigungsinitiativen ist angestrebt: "Experimentieren heißt schließlich auch die Effizienz von Mitteln an besonders originären und/oder sozial innovativen Bildungs- und Beschäftigungsinitiativen in einer bestimmten Region in einem bestimmten Zeitraum zu erproben, Erfahrungen zu sammeln, zu kalkulieren und ggfs. zu modifizieren für entsprechende Maßnahmen in größerem Umfang." Das Konzept "örtliche Beschäftigungsinitiativen" wird möglichst weit gefaßt. Es werden auch die alternativ-ökonomischen Initiativen dazugezählt, von denen es zwischen 6.000 und 12.000 mit zwischen 30.000 und 80.000 engagierten Leuten geben soll. Die Zahl der vermuteten Vollzeitarbeitsplätze in alternativ-ökonomischen Initiativen (nicht gleichzusetzen mit Stellen im tariflich geregelten Sektor) wird mit bis zu 30.000 angegeben.

Von den "sozialen Bildungs- und Beschäftigungsinitiativen", als den örtlichen Beschäftigungsinitiativen im engeren Sinne, soll es zwischen 2.400 und 3.200 mit einem Bestand von ca 60.000 bis 80.000 Mitgliedern geben: "Darunter erhielten zwischen 41.600 und 55.600 eine die Existenz sichernde Einkommensgrundlage oder zumindest zusätzliche Subsistenzmittel." Neben Arbeitsloseninitiativen, alternativ-ökonomischen Projekten und neben der Förderung von Selbsthilfegruppen würden also verstärkt "soziale Beschäftigungsansätze und -strategien" diskutiert und praktiziert. Der Erfolg bzw. Mißerfolg lokaler Beschäftigungsinitiativen dürfe nicht allein nach betriebswirtschaftlichen Rentabilitätskriterien bemessen werden, sondern es müsse in die notwendige Gesamtbewertung auch die Reduktion der durch Arbeitslosigkeit verursachten volkswirtschaftlichen (Folge-)Kosten, der Abbau der Schwarzarbeit und der Abbau sozialer Spannungen eingehen.

Das Konzept der experimentellen Arbeitsmarktpolitik mittels örtlicher Beschäftigungsinitiativen wird von den Regierungen der führenden kapitalistischen Industrieländer international koordiniert. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschloß 1982 das ILE-Aktionsprogramm für lokale Beschäftigungsinitiativen (ILE=Initiatives Locales d`Emploi). Das ILE-Programm mit eigenem Sekretariat hat nach mehrfacher Verlängerung eine Laufzeit bis Ende 1993. Auch die Europäische Gemeinschaft (EG) setzte die lokalen Beschäftigungsinitiativen auf die Tagesordnung. In einer Entschließung des EG-Ministerrates von 1984 wird der "potentielle Beitrag der örtlichen Beschäftigungsinitiativen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Wiederbelebung der örtlichen Wirtschaft und zum Abbau der sozialen Probleme" anerkannt und die Förderung (z.B. auch über den Europäischen Sozialfond) empfohlen. Ende 1984 gründete die EG eine Stelle für den Informations- und Erfahrungsaustausch zu lokalen Beschäftigungsinitiativen (Elise - information exchange network). Gemeinsam geben OECD (ILE-Programm) und EG (Elise) das Rundschreiben "Innovation and Employment" heraus.

Massenarbeitslosigkeit soll nicht abgeschafft werden, sondern als Hebel für Arbeitsmarktflexibilisierung dienen. Bedingungen, Strategien und Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik (Qualifizierung, Arbeitsbeschafftung, soziale Betreuung) werden vom OECD-Ausschuß "Arbeitskräfte und soziale Angelegenheiten" international durch eingesetzte "Expertengremien" analysiert. Bereits 1968 gab die OECD eine Studie zu Langzeitarbeitslosigkeit heraus. Sie gibt Anlaß über die Diskrepanz nachzudenken zwischen langfristigen Kapitalstrategien einerseits, die sich auf kurzatmige Betrachtungen von Konjunkturverläufen nicht beschränken, und aktuellen linken Diskussionen, die sich schwer tun, konkrete sozialökonomische Szenarien für eine kurz- und mittelfristige Zukunft aufzuzeigen und Antworten darauf zu finden.

In einer 1988 von der OECD herausgegebenen Studie finden sich erneut Empfehlungen für den arbeitsmarktpolitischen Umgang mit Langzeitarbeitslosigkeit. Wichtig für die Effizienz anstehender Programme sei die "Identifizierung der Zielgruppen". Die Einführung allgemeiner Tests nach drei- bis viermonatiger Arbeitslosigkeit soll die Auslese ermöglichen. Die einen könnten noch zu recht niedrigen Kosten für den Arbeitsmarkt fitgemacht werden (Bewerbungstraining, Qualifizierung). Für andere soll es vorbereitende Qualifizierungsmaßnahmen geben, die erst die grundlegenden Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln sollen, die für die eigentliche Qualifizierung gebraucht werden. Für die übrigen bleiben befristete Beschäftigung im öffentlichen Sektor und kommunale Beschäftigungsmaßnahmen. Nur als letztes Mittel kommt die Frühverrentung und "Behindertenverrentung" in Betracht.

Die Versatzstücke einer faktischen Arbeitskräftegesamtrechnung und eines quasi planwirtschaftlichen Umgangs mit Arbeitslosen zielen ab auf die Reduzierung der allgemeinen "Kosten" für die Lebenshaltung der Beschäftigten und Arbeitslosen und die Steigerung der verwertbaren allgemeinen Arbeitsleistung. Die Instrumente für umfassende ökonomische und soziale Planung liegen vermehrt und verfeinert vor. Der Vergleich der Kosten für Freiwilligkeit/Motivation auf der einen Seite oder Zwang/Widerstand auf der anderen kann ständig aktualisiert werden. Soziale Befriedung im Kapitalismus ist, solange sie funktioniert, nur ein Kostenfaktor. Der Übergang von Freiwilligkeit zu Zwang wird fließend gestaltet. Frauen und Männer, die als Arbeitslose von Sozialhilfe leben müssen, sollen vermehrt in Krankenhäusern, Parkanlagen, Abfallwirtschaft usw. für 1,50 pro Stunde zusätzlich zur Sozialhilfe arbeiten. Einige sind froh, endlich arbeiten zu können und ein paar Mark extra zu haben. Andere bekommen bei Verweigerung die letzte sozialstaatliche Existenzabsicherung stufenweise gekürzt.

Das Konzept örtliche Beschäftigungsinitiative ist noch ein Modellverhaben. Es ist offen, ob und wie es in Serie geht. Allein die Diskussion in der interessierten Öffentlichkeit trägt zur Leugnung des realen Bestandes und der wirklichen Ursachen von Massenarbeitslosigkeit bei. Für die Begründung des Konzeptes muß auch das diffuse Ergebnis einer gesellschaftspolitischen Entwicklung herhalten, der heute unter dem Begriff des Wertewandels nachgeforscht werden kann. In der Begründung werden Forderungen mißbraucht wie Dezentralität, Entscheidung vor Ort, mehr Umweltschutz und soziale Dienstleistungen, Eigeninitiative, Selbsthilfe und Solidarität. Aber auch der alte Pionier- und Unternehmergeist soll wieder auferstehen. Wie Münchhausen besinnen sich die Benachteiligten auf dem Arbeitsmarkt auf innewohnende Kräfte und schaffen neue Angebote für zahlungsfähige Nachfrage und damit neue Unternehmen und Jobs. Tatsächlich entstehen zusätzliche Jobs nur für diejenigen, die für den anstehenden "modernen" Umgang mit Arbeitslosen gebraucht werden.

Nach dem aktuellen Wirtschaftsboom muß für die erste Hälfte der 90er Jahre von einem Konjunktureinbruch und erneut steigender Massenarbeitslosigkeit - bei einem bestehenden "Sockel" von circa 3 Millionen Arbeitslosen allein in der BRD - ausgegangen werden. Die Koordinierung der aktiven Arbeitsmarkpolitik könnte sich, neben anderen Aufgaben, als eine Überforderung der Bundesanstalt für Arbeit herausstellen. Wie wärs mit einer "Bundesanstalt für Beschäftigungsprogramme", die angesichts des dezentralisierten Maßnahme-Dschungels den Überblick behält. Den Stammtisch-Strategen wird es vorbehalten bleiben, den "Bundesarbeitsdienst" herbeizureden.


www.uri-text.de | Oldenburg (Oldb) | 1989-11-23